"Nicht unterschätzen"

NEUMARKT. Harmlose Spinner oder gefährliche Rechtsradikale ? „Reichsbürger“ sollen auch im Landkreis Neumarkt nicht zu unterschätzen sein.

Der Berger Bürgermeister Helmut Himmler sprach am Beginn der letzten Gemeinderatssitzung im Berger Rathaus von den tragischen Ereignissen in Georgensgmünd mit einem toten Polizeibeamten – verursacht durch einen sogenannte Reichsbürger. Der stellvertretende Landrat machte deutlich, dass dieser seltsame Teil der Bevölkerung nicht nur ein Problem in Nachrichtensendungen oder in fernen Regionen sei. Auch im Landkreis Neumarkt und insbesondere in der Gemeinde Berg seien sie Teil der Gesellschaft und das in der Regel unauffällig.


Diese sogenannten Reichsbürger behaupten, dass das Deutsche Reich fortbestehe, aber nicht in Form der Bundesrepublik Deutschland, sondern vielmehr in den Grenzen von 1937 wahlweise auch 1914 oder 1871. Dabei beruft man sich auf die jeweiligen Verfassungen dieser versunkenen Staaten – schließlich gebe es keinen Friedensvertrag nach Beendigung des 2. Weltkrieges und die Bundesrepublik sei noch immer ein besetztes und vor allem aus Amerika gelenktes Land.

Sie erklären ihren Ausstieg aus diesem „System“ und geben häufig ihre Personalausweise zurück. Teilweise verweigern sie auch die Zahlung von Steuern, Abgaben oder Gebühren, da die BRD-Behörden illegitim seien und es demzufolge keine Rechtsgrundlage zur Verpflichtung von Steuerzahlungen gebe.

Spätestens seit dem Mord in Georgsgmünd in der fränkischen Nachbarschaft könnten diese Menschen – oftmals im bürgerlichen Gewande – nicht mehr als krude und harmlose Spinner abgetan werden, sagte Himmler. Zumindest ein Teil dieser „Reichsbürger“ habe legal Waffen und man wisse de facto nichts über das Gefahrenpotential dieser Menschen in der Region.

Der Berger Bürgermeister – dem die Reichsbürger in seiner Gemeinde persönlich bekannt sind – reduziert diese Leute nicht auf „Bürger mit eingeschränktem Horizont und rechtsnationalem Weltbild“, sondern inzwischen sei es bis ins Bildungsbürgertum hinein chic geworden, seine Verachtung des Staates mitsamt seiner Repräsentanten und Beamten offen zum Ausdruck zu bringen.

Der demokratische Rechts- und Sozialstaat bis hin zur Gewerbe- und Meinungsfreiheit – so Himmler – könne aber nur durch die Autorität des Staates garantiert werden und jedem Staatsbürger müsse doch verständlich sein, dass die Alternative zum demokratischen Staat Anarchie und Totalitarismus sei. Wozu das im konkreten führe, könne man täglich in den zahlreichen und schrecklichen Kriegsgebieten oder in korrupten Staaten ohne rechtsstaatliche Administrationen weltweit sehen.

Himmler macht für diese Entwicklung im Land und in der Gesellschaft die sogenannten Qualitäts- und „Revolvermedien“ bis hin zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen in erheblichem Maße verantwortlich. Diese würden in "geradezu penetranter Weise" über die menschenverachtenden Inszenierungen der rechten Szene berichten, gäben ihnen in zahlreichen Talk-Runden ein Massenpublikum für deren „Hetze und intellektuellen Müll“ und anschließend laufe die "mediale Empörungsindustrie angesichts sich potenzierender Gewalttaten" an.

Es sei auch erschreckend und nicht hinnehmbar, dass Beamte der verschiedenen staatlichen Ebenen, Polizisten, Politiker, Bürgermeister bedroht und öffentlich in übelster Weise angegangen werden.

Bürgermeister Himmler meint, dass sich die Bürgermeister im Landkreis mit Landrat Willi Gailler der Thematik annehmen und klar Position beziehen müßten zu „Reichsbürgern und ähnlichen Umtrieben im Landkreis“. Der Landkreis Neumarkt solle nämlich auch in Zukunft „unsere Heimat des Respekts, der Toleranz, der Humanität und der gelebten Demokratie“ bleiben. Dafür müsse man aber etwas tun und stetig für diese Werte werben.


22.10.16
Neumarkt: "Nicht unterschätzen"
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ISSN 1614-2853
21. Jahrgang